Jens Martens (September 2018)
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Seit Dezember 2017 ist Jens Martens (62) Trainer unserer U19. Nach dem Kraftakt, mit der Mannschaft den Klassenerhalt in der Regionalliga Nord zu schaffen, hat er sich für diese Saison vorgenommen, die Mannschaft von Anfang an nach seinen Vorstellungen zu formen. Der Fußballlehrer hat sich die Zeit genommen, mit uns seine Karriere Revue passieren zu lassen, uns zu erklären, warum er trotz der Ausbildung zum Fußballlehrer nie im Profi-Fußball gearbeitet hat und was ihn dazu bewegt, nach über 30 Jahren im Trainergeschäft erstmals eine Nachwuchsmannschaft zu übernehmen. Wie sich die Arbeit mit Damen, Herren und Junioren unterscheidet, warum er keine Lust mehr auf Oberliga hat und was er in den nächsten Jahren so vorhat, verrät er uns im Interview des Monats September.
EN: „Hallo Jens, vielen Dank, dass du dir die Zeit nimmst, gemeinsam mit uns deine Karriere ein wenig zu beleuchten. Kannst du denjenigen, die dich vielleicht noch nicht so kennen sollten, kurz erklären, wer Jens Martens ist?“
JM: „Mein Leben dreht sich – außerhalb meines Jobs – um Familie und Fußball. Mein Job ist zweigeteilt. Zum einen bin ich Schulsportbeauftragter für den Kreis Segeberg. Das bedeutet, ich organisiere für über 100 Schulen alle Schulsportwettbewerbe im Kreis, von Fußball über Schwimmen bis Triathlon. Das ist eine Menge Holz, aber es macht viel Spaß und nimmt die Hälfte meiner Arbeitszeit ein. Die andere Hälfte bin ich an der Gemeinschaftsschule in Kisdorf und unterrichte Sport und Geographie bis zur 10. Klasse.“
EN: „Und wenn du mit dem Schultag durch bist, geht es auf den Fußballplatz.“
JM: „Genau, außerhalb meiner schulischen Verpflichtungen bin ich DFB-Fußballlehrer und verbringe die Abende auf dem Fußballplatz. Den Rest meiner Zeit verbringe ich mit meiner Familie. Mein Sohn (Anm.: Jannick Martens, derzeit beim SC Condor in der Oberliga Hamburg) war auch mal hier, hat zwei Jahre in den USA gespielt und war die letzten zwei Jahre die Lebensversicherung – nicht meine Worte – vom SC Condor. Leider hat er sich im vorletzten Spiel der vergangenen Saison das Kreuzband gerissen und fällt nun erstmal lange Zeit aus. Damit ist mein Leben dann auch gut ausgefüllt. Ich bin sehr zufrieden, weil ich alles, was ich mache, bei bester Gesundheit und noch ordentlicher Fitness machen darf.“
EN: „Du warst knapp 30 Jahren im Erwachsenenbereich als Trainer tätig, seit letztem Winter trainiert du die U19 von Eintracht Norderstedt. Was hat dich nach so langer Zeit bewegt, in den Jugendbereich zu gehen?“
JM: „Reenald Koch. Reenald ist seit etlichen Jahren hinter mir her. Wir haben uns ja schon vor 40 Jahren das erste Mal auf die Knochen gehauen, ich beim VfB Lübeck und er beim FC St. Pauli. Über diese Zeit ist eine sehr große gegenseitige Wertschätzung entstanden. Wir haben uns zwar früher gegenseitig auf die Knochen gehauen, aber nicht um uns zu verletzen, sondern um für unsere Farben einzustehen.“
EN: „Dieses klassische Amateur-Fußball-Klischee: Auf dem Platz gab es auf die Knochen und danach hat man zusammen ein Bier getrunken?“
JM: „Ja, genau, nur halt in der 3. Liga. Damals gab es ja auch noch den Amateur-Länderpokal. Hamburg gegen Schleswig-Holstein waren immer heiße Duelle. Das war eine tolle Zeit, wir haben uns nie aus den Augen verloren. Ich habe ja viele Jahre in Henstedt-Ulzburg trainiert, da haben wir uns drei, vier Mal im Jahr zum Essen getroffen und über Gott und die Welt und Fußball geplaudert. Ich glaube, er wollte mich schon fünf Mal nach Norderstedt holen. Ich habe ihm jedes Mal abgesagt, weil ich schon morgens in der Schule die Kinder um die Ohren habe und nicht abends auch noch mit Jugendlichen arbeiten wollte. Im Dezember ist er dann nochmal auf mich zugekommen und meinte ‚du, ich brauche jetzt wirklich deine Hilfe. Unter Freunden, du musst jetzt ran.‘ Das war der erste Part, der Impuls von Reenald. Der zweite Impuls war, dass der obere Amateur-Bereich einfach nicht mehr so ist, wie ich ihn mir vorstelle.“
EN: „Was hat sich im Amateur-Bereich verändert?“
JM: „Wir haben mit Henstedt-Ulzburg ja auch in der Oberliga gespielt. Teilweise ging die Trainingsbeteiligung auf 70% runter. Umgerechnet bedeutet das, wenn wir drei Trainingseinheiten in der Woche haben, trainieren wir als komplette Mannschaft nur zwei Mal. Zwei Mal die Woche ist Freizeitfußball, zwei Mal trainieren sie auch in der Kreisklasse. Ich habe keine Lust mehr, mich mit einem, der von sich selbst in Anspruch nimmt Leistungsfußball zu spielen und Geld damit zu verdienen, sich aber aussucht, wann er zum Training kommt und wann nicht, abzugeben. Wenn ich Sachen mache, dann ganz oder gar nicht. Und das ist auch der Anspruch, den ich an meine Spieler habe. Deswegen habe ich nach der Zeit bei HU erstmal anderthalb Jahre Pause gemacht und die Zeit mit meiner Partnerin genossen. Und da ist für mich der Entschluss gereift: zum einen will ich nur noch Trainer sein und nicht mehr Alleinverantwortlicher für alles. Zum anderen will ich nur noch im Leistungsbereich trainieren.“
EN: „Und dann kam Reenald.“
JM: „Das paarte sich. Nach anderthalb Jahren war ich wieder bereit fürs Trainergeschäft, Reenald brauchte Hilfe für seine U19 und dann habe ich gesagt ‚okay, komm, wir machen das.‘ Der Verein hätte mich gerne gleich längerfristig verpflichtet, aber ich wollte das erstmal nur für ein halbes Jahr machen, weil ich zum einen für mich gucken musste, ob ich das mit Jugendlichen überhaupt machen will. Zum anderen musste ich, nachdem ich anderthalb Jahre nicht als Trainer tätig war, natürlich auch gucken, ob man das privat wieder hinbekommt. Ich habe ihm aber zugesagt, dass Eintracht für mich dann der erste Ansprechpartner ist.“
EN: „Hattest du denn anderen Angebote, nachdem du die U19 vorm Abstieg bewahrt hast?“
JM: „Ich hatte Anfragen aus den Oberligen Hamburg und Schleswig-Holstein, ja. Aber ich hatte Reenald und Horst Plambeck zugesagt, dass sie mein erster Ansprechpartner sind, davor werde ich auch keine Gespräche mit anderen Vereinen führen. Die Gespräche haben sich zwar auf Grund der sportlichen Situation etwas verzögert, aber ich habe für mich gemerkt, dass ich weiterhin hier arbeiten möchte. Ich habe vom kompletten Verein absolute Unterstützung bekommen, vom Präsidium, der Jugendleitung, von den Jugendtrainern, mit denen das sehr gut gepasst hat. Ich hatte noch nie so gute Rahmenbedingungen wie hier – und ich habe immerhin schon Holstein Kiel in der 3. Liga und die HSV-Frauen in der 1. Liga trainiert.“
EN: „Inwiefern?“
JM: „Dass wir den Klassenerhalt geschafft haben, liegt nicht nur daran, dass wir hart trainiert haben, sondern zu einem großen Teil auch daran, dass wir – trotz des unangenehmen Winters – eigentlich immer trainieren konnten. Viele Vereine konnten im Winter nur Laufen gehen oder mussten Spinning machen oder sowas. Wir konnten raus und fast immer Fußball trainieren, weil Olli (Anm.: Platzwart Oliver „Rasengott“ Schaper) die Plätze geräumt hat. Das war sicherlich auch ein ganz großer Pluspunkt, den wir hatten.“
EN: „Du hast unsere U19 im Winter in einer sehr schwierigen Lage übernommen, einige hatten die Jungs bereits abgeschrieben.“
JM: „Wir hatten einen ziemlich problematischen Haufen zusammen. Es waren viel zu viele Spieler, das Team war nicht ideal zusammengesetzt. Wir haben den Kader dann erst einmal bereinigt. Das ging nicht ohne Tränen, musste aber sein. Und dann haben wir wirklich hart trainiert. Und je mehr die Jungs aufgenommen haben und je mehr sie selbst gesehen haben, dass das, was sie im Training erarbeiten haben, funktioniert, desto mehr Laune hat es allen Beteiligten gemacht.“
EN: „So viel Laune, dass deine Frau dann grünes Licht gegeben hat?“
JM: „Sie hat gesehen, dass ich hier wirklich tolle Rahmenbedingungen habe, dass ich Spaß daran habe und dass es unsere Beziehung nicht wie vorher belastet, als ich in Henstedt-Ulzburg Alleinverantwortlicher für alles war. Ich war zwölfeinhalb Jahre dort. Und je länger du da bist, desto mehr nimmst du dich ja auch selber in die Pflicht und desto mehr Zeit geht dafür drauf. Ich wohnte direkt am Platz, jeder im Verein hatte meine Nummer. Ich bin dann wirklich zu Tag und Nacht-Zeiten angerufen worden mit den unmöglichsten Dingen. Da ist meine Frau natürlich irgendwann die Wände hochgegangen, das war zum Ende hin schon sehr schwierig. Das ist aber jetzt, wo ich „nur noch“ Trainer bin, nicht mehr der Fall.“
EN: „Hat dir deine Erfahrung als Lehrer geholfen, dich im Jugendfußball schnell zurecht zu finden?
JM: „Das ist für mich wirklich schwer zu beurteilen. Den Rückmeldungen aus der Mannschaft nach, ja. Für mich war das aber nichts anderes, weil ich ja tagtäglich damit zu tun habe.“
EN: „Weil das nach so vielen Jahren Lehrertätigkeit so in Fleisch und Blut übergangen ist, dass du nicht mehr unterscheiden kannst, ob es wirklich etwas Pädagogisches ist oder einfach du bist?“
JM: „Ich denke schon, ja. Aber ich habe dadurch natürlich den Vorteil, dass ich die Sprache der Jugend kenne. Wobei sowas wie „Digga“, „Alter“, „F*** dich“ Ausdrücke sind, die ich einfach nicht haben will. Ich habe den Jungs gleich in der ersten Besprechung gesagt, dass es diese Ausdrücke bei mir nicht gibt: beim ersten Mal gibt es eine Verwarnung. Beim zweiten Mal lauft ihr die große Runde. Beim dritten Mal geht’s ab in die Kabine. Ich hasse es. Bei einem Verein wie Eintracht Norderstedt, der sich seriös darstellen will, der eine vernünftige Außenwirkung haben will, kann es nicht sein, dass wir irgendwo hinfahren und auf dem Platz nur der Ghettoslang rauskommt.“
EN: „Und das haben die Jungs verinnerlicht?“
JM: „Bis jetzt läuft das sehr gut, aber die Zusammenstellung der Mannschaft ist natürlich jetzt auch eine andere, da haben wir schon drauf geachtet. Wobei man das nie wirklich genau weiß. Wenn die in der Bundesliga sagen „Wir haben uns zwei Mal mit dem Spieler getroffen und sind von seinem Charakter überzeugt“, das ist ja völlig daneben. Als ob du nach zwei Treffen den Charakter eines Menschen beurteilen kannst, da kann ich nur den Kopf schütteln.“ (lacht) „Aber das zu thematisieren würde zu weit führen… den Charakter eines Spielers erkennst du sowieso erst nach langer Zeit oder wenn du eine Serie von Misserfolgen hast. In einer Erfolgsserie ist es für alle Beteiligten sehr viel einfacher.“
EN: „Worauf legst du als Trainer deine Schwerpunkte? Zum einen hat du gerade schon gesagt, eine vernünftige Ausdrucksweise, ein vernünftiges Auftreten.“
JM: „Dazu gehört auch, dass die Spieler die Möglichkeiten hier wertschätzen. Das sage ich ihnen gerade auf Auswärtsfahrten immer wieder. Damit meine ich hervorragende Rahmenbedingungen, ein vernünftiges Umfeld und gut ausgebildete Trainer. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, gewöhnt sich schnell an den Standard hier und diskutiert dann schon darüber, dass da irgendwo ein Fleck auf dem Kunstrasen ist. Da frage ich ganz ehrlich: ‚Hast du noch alle Latten am Zaun?‘ Fahr mal nach Arsten, da hast du Löcher auf dem Platz. In den großen Umkleidekabinen hast du nur noch Käfige, da muss jede einzelne Tasche eingeschlossen werden, wenn du in Bremen-Arsten bist. Wir haben hier eine eigene Kabine, wo 25 Leute nebeneinander Platz haben. Das ist mir wichtig, dieser ganze Verhaltenskomplex. Sprache, Auftreten, Wertschätzung dessen, was man hat. Die zweite Sache ist die Disziplin auf dem Platz. Da muss ich mich manchmal auch selbst zurückhalten, ich bin ja auch nicht der ruhigste, aber gegenüber meiner Anfangszeit bin ich jetzt nur noch bei 20% was das angeht.“
EN (lacht): „Bist du früher so ein HB-Männchen gewesen?“
JM: „Ach, hör auf… ich habe jede Saison zwei, drei Strafen gekriegt. Aber wenn ich von meinen Spielern vorbildliches Verhalten erwarte, muss ich das natürlich auch selber an den Tag legen. Andererseits muss ich meinen Spielern natürlich auch zeigen, dass ich bei ihnen bin. Wenn der Schiedsrichter dauerhaft scheiße gegen uns pfeift und ich draußen irgendwann mal explodiere, ist es auch ein Zeichen an die Mannschaft, dass der Trainer nicht alles mit sich machen lässt und auf ihrer Seite ist. Diese Balance habe ich mich für mich selbst mittlerweile besser hingekriegt. Ein weiterer Punkt, auf den ich großen Wert lege, ist körperliche Fitness.“
EN: „Darüber hatten wir ja im Frühjahr schon einmal gesprochen.“
JM: „Das ist eine Erkenntnis, die in der letzten Saison auch die Spieler gewonnen haben. Ich habe sie im Winter wirklich geschleift, es gab da auch viel Murren und Meckern hinter vorgehaltener Hand. Aber du kennst die Statistik der Rückrunde ja selbst, wir haben die meisten Tore zwischen der 75. und 90. Minute geschossen. Daran erkennst du: unsere Mannschaft war einfach fitter als andere Mannschaften und konnte noch gehen, als die anderen schon kaputt waren. Das haben die Jungs dann natürlich auch selber gemerkt. Das ist eine Aufgabe, vor dich ich jetzt natürlich wieder stehe: wir haben viele Jungs dazu bekommen, die vorher nicht auf Regionalliga-Niveau gespielt haben. Da merkt man im Training deutliche Unterschiede zu den Spielern, die in der vergangenen Saison schon bei mir trainiert haben. Wir müssen daran arbeiten, alle auf ein Fitness-Niveau zu bekommen.“
EN: „Bisher hat sich die U19 aus zwei Jahrgängen bedient. Zu dieser Saison wurde die U18 wieder eingeführt. Ist das ein Vorteil für dich als U19 Trainer oder eher ein Nachteil, weil du weniger Spieler hast, auf die du zugreifen kannst?“
JM: „Das ist zweifellos ein Vorteil für uns. Es gibt Spieler, die brauchen noch ein Jahr, die müssten wir wegschicken, weil es für die U19-Regionalliga noch nicht reicht. Jetzt ist es so, dass die besten Spieler aus der U17 den Jahrgang überspringen und gleich in die U19 hochgehen. Aus der letztjährigen U19 ist lediglich eine handvoll Spieler hiergeblieben. Einer ist gewechselt, der Rest in den Herrenbereich hoch gegangen. Das heißt, es war viel Arbeit, einen neuen Kader zusammen zu stellen und es ist viel Arbeit, alle Spieler auf einen Fitness-Level zu bekommen. Jetzt geht der große Teil der U17 hoch in die U18 und dann hoffentlich im Jahr darauf in die U19. Für uns ist es natürlich super, weil wir dann, wenn es in der U18 gut läuft, schon ein sehr gutes, eingespieltes Gerüst für unsere U19 im nächsten Jahr haben und das nur noch punktuell verstärken müssen.“
EN: „Wenn du die Arbeit im Herrenbereich und im Juniorenbereich vergleichst, gibt es da große Unterschiede?“
JM: „Nein, eigentlich nicht. Sicherlich musst du im Junioren-Bereich hin und wieder nochmal pädagogisch auf die Spieler einwirken, aber die Anforderungen an Leistungsbereitschaft und Disziplin sind dieselben, egal ob im Herrenbereich oder in der U19.“
EN: „Aber es dürfte im Herrenbereich von daher einfacher sein, dass die Spieler oftmals Verträge haben und man langfristig planen kann, während in der U19 jedes Jahr ein Jahrgang raus wächst und man den Kader immer wieder neu zusammenstellen muss, oder?“
JM: „Theoretisch ja… in der Praxis ist es aber so, dass im Oberliga-Bereich nur wenige Vereine mit Verträgen arbeiten und die Unterschiede zwischen den Vereinen gravierend sind. Es gibt Vereine, die arbeiten mit Verträgen und zahlen den Spielern feste Summen. Es gibt auch kleinere Vereine, da bekommen die Spieler nur Punktprämien. Und es gibt welche, da gibt es dann andere Wege, den Spielern Geld zukommen zu lassen… Und wenn du ein kleiner Verein bist, wo es maximal ein paar Euro gibt und man sonst nur mit Punktprämien Geld verdienen kann und plötzlich ein anderer Verein deinen Spieler mit Verträgen und festen Gehältern lockt, ist der Spieler weg. Die Planbarkeit im oberen Amateur-Bereich ist daher auch nicht so groß. Aber vom Prinzip her stimmt das natürlich schon, ja.“
EN: „Kannst du uns kurz etwas über deine Anfänge im Fußball erzählen?“
JM: „Ich bin im Kreis Steinburg groß geworden. Angefangen mit Fußball habe ich beim VfR Horst. In der A-Jugend bin zum Itzehoer SV gewechselt, die damals jahrelang 3. Liga/Regionalliga gespielt haben. Mit Mitte 20 bin ich zum VfB Lübeck gewechselt und habe dort weitere sechs Jahre 3. Liga gespielt. Nach meinem Studium bin ich ins Referendariat gegangen und habe gleichzeitig bei der Bramstedter TS als Spielertrainer in der Bezirksliga angefangen. Wir sind dann zwei Mal aufgestiegen bis in die Schleswig-Holstein-Liga. Dann habe ich bei Holstein Kiel in der 3.Liga/Regionalliga trainiert, bin von da aus zu den HSV-Damen in die Frauen-Bundesliga gewechselt. Ich habe noch anderthalb Jahre den TuS Holstein Quickborn in der Oberliga Hamburg trainiert und bin dann zum SV Henstedt-Ulzburg gewechselt, wo ich insgesamt zwölfeinhalb Jahre war. Zwischendurch gab es die Oberliga Nord, wo Hamburg und Schleswig-Holstein in einer Liga zusammengespielt haben. Da haben wir eine Saison mit der ersten Mannschaft von Holstein Kiel in einer Liga gespielt. Wir hatten einen Etat von 150.000, die von 12,5 Millionen. In derselben Spielklasse…“
EN: „In Henstedt-Ulzburg hast du auch deinen Sohn Jannick trainiert…“
JM: „…in den Sommerferien, als er aus den USA zurückkam, hat er bei uns mittrainiert. Und als er ganz zurück war, hat er uns zwei Mal mit seinen Toren den Arsch gerettet.“
EN: „War das für dich eine besondere Herausforderung? Man neigt ja dazu, seine eigenen Kinder anders zu behandeln, entweder zu bevorzugen oder besonders hart zu ihnen zu sein, um nicht in Verdacht zu geraten, sie zu bevorzugen…“
JM: „Das ist einfach zu beantworten: Wäre er zu dem Zeitpunkt 18 oder 19 Jahre alt gewesen, wäre das sicherlich für beide Seiten ein Problem gewesen, weil er noch kein Standing hatte. Als er zu uns kam, hatte er aber gerade zwei Jahre in den USA auf Regionalliga-Niveau gespielt und alle waren froh, einen Spieler zu haben, der uns jede Saison 20 Tore garantiert. Von daher war das Standing klar und hat uns die Situation unheimlich erleichtert.“
EN: „Wenn man einen Verein so lange trainiert hat wie du… ist es gut, weil man etwas nach seinen Vorstellungen aufbauen und entwickeln kann? Oder eher schlecht, weil sich ein Trainer nach einer gewissen Zeit abnutzt?“
JM: „Dazu gibt es einen guten Ratschlag, den Otto Rehhagel, den ich auf Trainertagungen kennen gelernt habe, mir erteilt hat: nach drei Jahren musst du entweder den Verein verlassen. Oder du musst die Hierarchie in der Mannschaft verändern. Und das hat er ja in Bremen damals erfolgreich gemacht. Überlege mal, was er für Reizpunkte gesetzt hat. Der holt dann einen Wynton Rufer aus Neuseeland oder Rune Bratseth aus Norwegen. Der holt dann mal einen 36jährigen Manni Burgsmüller zurück… man muss drauf achten, dass man regelmäßig die Struktur der Mannschaft und damit die Hierarchie verändert. Sonst nutzt du dich selber ab. Und so habe ich auch gehandelt. Wobei es natürlich, wenn man so lange bei einem Verein ist, mit zunehmender Dauer immer schwieriger wird sich zu verabschieden.“
EN: „Du warst zwischendurch auch Trainer bei den HSV-Damen in der Bundesliga. Wenn du mal einen Vergleich ziehen müsstest zwischen Trainer einer Herrenmannschaft und Trainer einer Damenmannschaft… wo liegen für einen Trainer die Unterschiede?“
JM: „Das ist tatsächlich relativ einfach zu beantworten. Natürlich musste man sich dann auch mal dumme Sprüche anhören von wegen „hast die Weiber trainiert“ und sowas, das habe ich öfter gehört. Es gibt auch zahlreiche Klischees über Frauen-Fußball, die auch nicht von der Hand zu weisen sind, zum Beispiel Zickigkeit. Frauen sind aber in vielen Dingen geduldiger und in taktischen Dingen sehr viel aufmerksamer als Männer. Von den Jungs kommt dann sowas wie „ach, wissen wir schon alles, brauchen wir ihm gar nicht mehr zuhören“, wohingegen Frauen da penibler sind und mehr hinterfragen. Und sie sind wesentlich sensibler in der Ansprache. Ich komme vom Herren-Fußball, da ist es nicht ungewöhnlich, dass du mal was raushaust wie ‚du Blinder, was hast du dir da heute wieder für einen Mist zusammengespielt, das geht ja gar nicht.‘ Wenn du das beim Frauen-Fußball sagst, hast du ein Problem, die nehmen sich solche Sprüche sehr zu Herzen. Dann reflektierst du und denkst ‚eigentlich hat sie ja recht‘. Da muss man sich als Trainer sehr anpassen. Gerechtigkeit ist auch ein großes Thema im Frauen-Fußball, Frauen sind viel gerechter als Männer.“
EN: „Hast du dafür ein Beispiel?“
JM: „Unsere damalige Mannschaftsführerin Claudia Wenzel, vorbildlich in jeder Beziehung und von allen hochakzeptiert, war eine Woche krank. Ich habe die ganze Zeit über gebibbert, ob sie rechtzeitig zum Spiel am Wochenende wieder fit wird. Freitag kam sie dann wieder zum Training, war aber etwas schniefig und ist nur gelaufen. Sonntag zum Spiel frage ich sie ‚wie sieht’s aus, bist du wieder fit?‘ Sagt sie ‚ja, ich könnte schon spielen.‘ Ich denke mir ‚sauber, das reicht mir‘, gehe in die Mannschaftsbesprechung und stelle sie natürlich auf. Nach der Besprechung geht plötzlich hinter mir die Tür auf ‚Trainer, hast du mal einen Moment?‘ Da kommt Claudia hinterher und sagt zu mir. ‚Du Trainer, ich darf nicht spielen‘. Frage ich ‚wieso, ich habe dich doch aufgestellt‘ ‚ja, aber ich habe ja die ganze Woche nicht trainiert und Mirja hat richtig gut trainiert, habe ich gehört. Mirja muss spielen, ich kann nicht spielen.‘ Da denkst du als Trainer natürlich ‚spinnst du?‘ Wenn das bei den Herren wäre, würden mindestens drei Spieler auf mich zukommen und sagen ‚Trainer, du kannst doch nicht unseren besten Mann draußen lassen. Lass den 60 Minuten spielen und wenn er umkippt, kann der nächste kommen‘. Das ist ein Beispiel, was wirklich haften geblieben ist, weil es komplett gegensätzlich ist.“
EN: „Für dich als Trainer war der Sprung in den Frauen-Fußball also eine sehr wertvolle Erfahrung?“
JM: „Ja, absolut. Ich möchte die Zeit nicht missen.“
EN: „Du bist seit über 30 Jahren Fußballlehrer. Du könntest von der Ausbildung her auch Bundesliga trainieren, hast aber nie im Profi-Fußball gearbeitet. War das bei dir mal Thema?“
JM: „Zwei Mal. Ich habe konkrete Gespräche mit Borussia Dortmund und dem MSV Duisburg geführt. Bei Borussia Dortmund war damals Horst Köppel Trainer und „der Schwarze Abt“ Klaus Gerster Betreuer. Gerster habe ich im A-Lizenz-Lehrgang kennen gelernt und Horst Köppel durch meine Mönchengladbach-Connection – ich war in einem Trainer-Lehrgang mit Uli Sude, der nach wie vor ein guter Freund von mir ist, und Rainer Bonhof. Dortmund suchte zu der Zeit einen Co-Trainer unter Horst Köppel. Und wie das dann in dem Geschäft eben läuft, hat mich einer der beiden bei Köppel empfohlen. Wir haben uns dann nach einem Spiel in Hamburg getroffen und verhandelt, eine Woche später war ich in Dortmund. Volles Stadion, total geil. Und da haben sie mir dann abgesagt, mit einer Begründung, die ich total nachvollziehen konnte. Damals war das Scouting-System noch nicht so weit, so dass der Co-Trainer diese Aufgabe mit übernommen hat. Daher haben die sich dann für den ehemaligen Torwart Horst Bertram entschieden, der dort aus der Nähe kam und ebenfalls in dem Lehrgang war.
Die andere Geschichte war, dass mich eines Tages Ewald Lienen anrief, der damals Trainer beim MSV Duisburg war und unbedingt einen Co-Trainer brauchte. Da hat mich dann allerdings mein damaliger Arbeitgeber, das Gymnasium Harksheide, nicht freigestellt. In dem Moment war ich natürlich sehr enttäuscht, aber im Nachhinein dann doch ganz froh drüber, denn nur vier Wochen später wurde Ewald Lienen in Duisburg entlassen. Und die Erfahrung zeigt, dass man dann wohl auch den neuen Co-Trainer gleich mit entlassen hätte…“
EN: „Die Vereine sind aber auf dich zugekommen, du bist nicht mit deinem Köfferchen umher gereist und hast Klinken geputzt, dass dich irgendeiner nimmt?“
JM: „Ich habe immer gesagt, dass ich mich nirgendwo aktiv anbieten werden. Und das habe ich auch bisher immer so gehandhabt, ich habe in meinem ganzen Leben noch nicht eine Trainerbewerbung geschrieben. Ich wollte immer durch meine Arbeit überzeugen. Und insgeheim bin ich auch ein norddeutsches Kind, mich hat es hier nie weggezogen. Wenn was gekommen wäre wie die beiden eben genannten Geschichten, hätte ich mir das sicherlich gut überlegt. Dortmund hätte ich damals wohl gemacht, bei Duisburg war ich dann am Ende froh, dass es nicht geklappt hat.“
EN: „Wenn Du den Blick mal zurück wirfst auf gut 55 Jahre im Fußball, welche Momente sind bei dir hängen geblieben?“
JM: „Die vielen Spiele in der 3. Liga mit Itzehoe und gerade dem VfB Lübeck, da hatten wir noch ganz andere Zuschauerzahlen, 3.500 im Schnitt. Bei Top-Spielen waren auch mal 12.000 auf der alten Lohmühle, das verbleibt schon. Dann gab es damals die Amateur-Landesauswahl, von der ich fünf oder sechs Jahre Kapitän war. Wir sind damals mit Schleswig-Holstein einmal Vize-Meister geworden und einmal Dritter im Bremer Weserstadion. Der Abstieg mit dem VfB Lübeck aus der 3. Liga war dagegen einer meiner Tiefpunkte.“
EN: „Und aus deiner Trainerzeit?“
JM: „Ich habe, glaube ich, 17 Titel geholt wie Meisterschaften, Pokalsiege und Aufstiege. Man muss die Erfolge natürlich immer in Relation zum Verein und den Möglichkeiten sehen. Wenn man mit Bad Bramstedt in der Bezirksliga gespielt hat und drei Jahre später in der Schleswig-Holstein-Liga auf Platz 5 steht, ist das sensationell und sicherlich höher zu bewerten, als in Hamburg einen Top-Club zu übernehmen und mit dem drei Mal Meister zu werden. Da ist jetzt aber nichts bei, was ich gesondert herausheben würde.“
EN: „Hast du als Trainer noch irgendwelche sportlichen Ziele? Oder siehst du es von Saison zu Saison und freust dich über alles, was noch kommt?“
JM: „Altersbedingt wird die Zeit, in der ich als Trainer arbeiten kann, ja immer kürzer. Ich hatte einige Angebote in anderen Funktionen im Fußball zu arbeiten, im Scouting oder in Projekten. Ich habe aber gemerkt, dass mir die Arbeit an der Linie dafür noch zu viel Spaß macht. Ich bin zu meinem 60. Geburtstag von der Segeberger Zeitung gefragt worden, wie lange ich noch als Trainer arbeiten will. Ich habe geantwortet „Solange ich mich an der Linie noch über die schlechten Leistungen meiner Mannschaft oder falsche Schiedsrichterentscheidungen aufregen kann, so lange ist das Feuer noch da. Und solange das Feuer noch da ist, mache ich weiter.“ Und zu dem Satz stehe ich heute noch. Wenn ich merke, dass mich das nicht mehr anmacht, dass es mir egal ist, ob meine Mannschaft gut oder schlecht spielt oder dass ein Schiedsrichter gegen uns pfeift, muss ich sofort aufhören. Aber solange das Feuer noch da ist und meine Familie das mitträgt, bin ich dabei, sofern man mich noch will.“
EN: „Aber es ist jetzt nicht so, dass du mit 62 Jahren noch das Ziel hast, in den Profi-Fußball zu gehen.“
JM: „Ich lasse mich von dem überraschen, was noch kommt. Ich mache den aktuellen Job als U19-Trainer mit großer Freude. Ich fühle mich körperlich wohl, ich fühle mich in diesem Umfeld wohl, Eintracht Norderstedt ist ein geiler Verein… so lange das so ist, mache ich mir über nichts anderes Gedanken.“
EN: „Bei den Spielern fragen wir immer, für welche Mannschaft er gerne mal spielen würde… drehen wir das ganze mal etwas um: gibt es eine Mannschaft, die du gerne mal trainieren würdest?“
JM: „Nein, überhaupt nicht. Ganz am Anfang meiner Trainerlaufbahn habe ich gesagt, dass ich gerne dort, wo ich gespielt habe, mal als Trainer arbeiten würde. Das habe ich geschafft. Ansonsten trifft das zu, was ich eben gesagt habe: Ich konzentriere mich auf das, was ich aktuell mache und mache mir über nichts anderes Gedanken. Tieferklassig kommt für mich allerdings nicht mehr in Frage. Wenn ich sehe, dass es in den Oberligen Hamburg und Schleswig-Holstein bei zwei Drittel der Teams kein Leistungsfußball mehr ist, muss ich das nicht mehr haben. Da ärgere ich mich nur drüber.“
JM: „Vielen Dank für das Interview und alles Gute für die Saison!“