Das große Schiedsrichter-Interview - Teil 3
Artikel vom 28. Januar 2024
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Mit Clemens Neitzel-Petersen und Luca Jürgensen hat Eintracht Norderstedt als bundesweit einziger Verein gleich zwei Profi-Schiedsrichter im Verein. Hinzu kommt mit Dominik Kopmann ein vielversprechendes Talent in der Regionalliga. Wir haben uns mit allen drei zu einem launigen Gespräch getroffen, dass wir auf Grund der Länge in drei Teilen veröffentlichen werden. Dies ist der letzte Teil.
„Man geht immer so ein bisschen mit der Einstellung rein, dass man erstmal unauffällig bleiben will und dass über den Schiedsrichter möglichst nicht gesprochen wird. Und dann kam die sechste Spielminute.“
Im letzten Teil unserer Interview-Serie geht darum, ob man den Schiedsrichterblick beim privaten Fußballgucken überhaupt noch ablegen kann, über Vorbilder unter den Schiedsrichtern, negative Erfahrungen auf den Fußballplätzen und Luca Jürgensens verrücktes Debüt im Profi-Fußball.
EN: „Kann man als Schiedsrichter noch ganz normal ein Spiel als Fan angucken und genießen oder hat man da immer automatisch den Schiedsrichterblick? Und: Guckt ihr euch überhaupt außerhalb von euren eigenen Spielen noch Spiele live im Stadion an?“
DK: „Um den zweiten Teil der Frage zuerst zu beantworten: Ich war letzte Saison zum Beispiel beim Derby zwischen dem HSV und dem FC St. Pauli im Stadion. Ich versuche es hin und wieder einzurichten, aber als Schiedsrichter bist du am Wochenende ja selbst ständig unterwegs. Aber wenn mal Zeit ist, gucke ich schon, ob das passt. Mit dem HSV und St. Pauli hast du hier vor Ort ja auch gute Möglichkeiten, ins Stadion zu gehen. Wenn ich mir Spiele im Fernsehen anschaue und ein Tor fällt, ist es schon so, dass mein erster Blick zum Assistenten geht, ob die Fahne hochgeht oder unten bleibt. Das ist der erste Blick und quasi automatisiert. Im Großen und Ganzen kann ich aber ein Spiel schon noch vernünftig gucken, aber wenn man mit Freunden guckt und es 50/50 Entscheidungen gibt, wird man schon gefragt, warum er das jetzt gemacht hat, wieso er gerade so handelt. Also es ist nicht ganz einfach, das nur aus Fansicht zu schauen.“
CNP: „Als Fan in dem Sinne nicht, aber als neutraler Zuschauer gucke ich mir schon Spiele an. Das letzte mal als „Fan“ habe ich wahrscheinlich mit 14 oder 15 ein Spiel gesehen, also bevor ich Schiedsrichter geworden bin. Seitdem gucke ich immer mehr darauf, was gerade entschieden wurde. Als neutraler Zuschauer gucke ich schon viel Fußball, aber selten im Stadion, eher im Fernsehen.“
EN: „Und dann immer eher mit dem Blick auf die Schiedsrichterentscheidungen?“
CNP: „Ja, im Allgemeinen schon. Fußball ist ein schöner Sport. Aber es ist natürlich ein noch schönerer Sport, wenn der Schiedsrichter auch noch alles richtig macht.“
LJ: „Das kann ich nur bestätigen. Fan des Fußballs, auf jeden Fall. Aber ich hege da keine besonderen Sympathien für irgendeinen Verein. Aber ich gucke mir das sehr gerne an, besonders die großen Spiele sind immer sehr interessant. Grundsätzlich gucke ich schon sehr aus der Sicht des Schiedsrichters. Das liegt aber vielleicht auch besonders für mich jetzt daran, neu in der 3. Liga zu sein und die Hintergründe kennengelernt zu haben. Was wird da gerade kommuniziert? Was passiert da im Hintergrund? Und dann verfolge ich das natürlich auch, weil es für mich noch neu ist und ich trotzdem jetzt sehr nah ran gerückt bin. Daher ist das noch mal interessanter, gerade wenn man vielleicht mit dem einen oder anderen Schiedsrichter auch schon mal unterwegs war und die Art und Weise der Kommunikation kennt. Dann sieht man es im Fernsehen und hört deren Kommunikation, ohne dass man den Ton auf dem Ohr hat.“ (lacht)
CNP: „Du siehst, der Fokus ist auf dem Schiedsrichter. Wobei: Dieses Jahr war ich auch Fan von einem Schiedsrichter, nämlich als Ben Uhrig mit Andre Becker und Schams Golzari aus unserem Bezirk das A-Jugend-Meisterschaftsfinale in Mainz gegen Borussia Dortmund vor 15.000 Zuschauern gepfiffen hat. Der hat das von der 1. Minute bis zur 120. Minute so herausragend gepfiffen. Das war so beeindruckend, da habe ich das ganze Spiel geguckt und war nur Fan vom Schiedsrichter.“
EN: „Dann aber vorrangig aus persönlichen Gründen geguckt, weil man sich kennt.“
CNP: „Ja, aber es war wirklich herausragend. Irre Mentalität, irre Klarheit, irre Präzision. Er wusste genau, was notwendig war und hat alles nahezu perfekt umgesetzt und dann darf man auch mal Fan von einem Schiedsrichter sein. Das waren aber glaube ich viele in diesem Spiel.“
EN: „Gibt es unter den Schiedsrichtern auch Vorbilder, an denen man sich orientiert?“
LJ: „Jetzt gibt es wohl nur eine richtige Antwort für dich, Dominik“ (lacht)
EN: „Ich weiß ja nicht… Clemens Neitzel-Petersen oder Luca Jürgensen?“
DK: „Tatsächlich beide.“ (lacht) „Das muss man schon so sagen. Es ist einfach etwas ganz Besonderes, zwei solche Leute im Verein zu haben. Mit Luca bin ich nochmal ein stückweit mehr größer geworden, weil wir immer den direkten Kontakt hatten. Bei Clemens habe ich das eher im Fernsehen verfolgt, aber man schreibt sich dann natürlich auch nach den Spielen. Bei Luca war ich viele Jahre als Assistent dabei bis hin zur Regionalliga. Luca hat dann durch die eigene Arbeit den Sprung in die 3. Liga geschafft. Aus nächster Nähe zu sehen, dass das möglich ist, ist eine starke Leistung und motiviert, da sehe ich schon sehr zu auf.“
EN: „Was genau kann man sich denn abgucken? Oder ist das eher der direkte Austausch, dass man einen höherklassigen Ansprechpartner hat?“
DK: „Sowohl als auch. Was ich von Luca mitgenommen habe. ist zum Beispiel, niemals aufzugeben. Also auch wenn man vielleicht mal einen Rückschritt machen muss, immer die Bereitschaft zu haben noch mehr geben zu wollen. An die Spielleitung geht jeder anders ran, das vielleicht mal etwas außen vor. Aber beim ganzen drumherum konnte ich mir auf jeden Fall einiges abgucken.“
EN: „Gab es bei dir früher auch Vorbilder, Clemens?“
CNP: „Ich habe ehrlich gesagt nie so weit nach oben geguckt. Aber klar gab es auch da schon Schiedsrichter, zu denen man aufgeblickt hat – und jetzt bin ich mit vielen davon unterwegs. Da ist es dann schwer, von Vorbildern zu sprechen. Man kann sich in den Top-Ligen vieles abgucken oder zumindest Sachen mitnehmen, die für einen selbst gut passen. Niemals alle, aber die, die zur eigenen Art und zum eigenen Auftreten passen. Den Rest muss man ausprobieren und dann kriegt man dazu auch eine Rückmeldung. So wie Luca Dominik eine Rückmeldung gibt oder ich beiden, wenn ich sie im Fernsehen oder auf den Plätzen sehe. Das ist fast wertvoller als sich irgendwo ein Vorbild zu suchen und jedes Spiel zu gucken.“
EN: „Guckt man sich da jetzt auch mal gezielt Drittliga-Spiele auf Magenta an, wenn Luca pfeift? Auch wenn einen das Spiel selbst vielleicht gar nicht interessiert?“
DK: „Ja, auf jeden Fall. Gerade das erste Spiel in der 3. Liga zwischen dem SC Freiburg II und dem Halleschen FC hat sich glaube ich jeder Schiedsrichter aus unserem Bezirk angeschaut. Das ist einfach etwas ganz Besonderes und der Support war dann für Luca auch schon da. Und dann lief das ja auch überragend, muss man immer dazu sagen. Ich habe da kurz ein bisschen gezittert, als Luca nach sechs Minuten die erste Rote Karte gezückt hat und dann nach einer guten halben Stunde nochmal… aber es war ja zum Glück alles richtig. Aber ja, das ist schon so, dass ich mir das gezielt ansehe.“
EN: „Dominik hat es ja gerade schon angesprochen: Kannst du ein, zwei Sätze oder vielleicht auch gerne mehr zu deinem ersten Drittligaspiel sagen, Luca? Es war ja vom Spielverlauf her eine relativ besondere Kiste, gerade für jemanden, der als Frischling da reingeschubst wird.“
LJ: „Brutal, oder? Das war ein Wochentagsspiel in Freiburg im altehrwürdigen Dreisamstadion. Das ist natürlich ein besonders schöner Spielort, dazu war es auch noch ein Abendspiel im Sommer…“
EN: „Weiter entfernt ging es fürs Debüt dann auch nicht, oder?“
LJ: „Nee, das ist das Maximum, einmal direkt quer durch Deutschland. Das erste Profi-Spiel ist schon etwas Besonderes, da ist man dann auch positiv angespannt und bereitet sich ganz besonders drauf vor. Das ist das, wofür man all die Jahre gearbeitet hat. Das kommt dann alles an einem Abend zusammen. Da bin ich auch immer noch geflashed und immer noch dankbar für jedes einzelne Profispiel. Man geht immer so ein bisschen mit der Einstellung rein, dass man erstmal unauffällig bleiben will und dass über den Schiedsrichter möglichst nicht besprochen wird.“
EN: „Spoiler: Das ging mächtig nach hinten los.“
LJ : „Ja. Dann kam die sechste Spielminute.“ (lacht) „Man nimmt die Situation wahr und dann gilt es das, was man über all die Jahre gelernt hat, abzurufen und dann diese Entscheidung zu treffen. Und das war in dem Moment für mich der Platzverweis wegen einer Notbremse, der sich dann auch als korrekt dargestellt hat. Das ist natürlich ein besonderer Einstieg in den Profi-Fußball. Die erste große Situation, die erste persönliche Strafe überhaupt in dem Spiel und für mich dann der erste Moment, wo man im Profi-Fußball mal „Hallo“ gesagt hat. Wichtig war aber natürlich, dass die Szene dann am Ende auch richtig war. Da denkt man schon ‚Okay unglaublich, so was im ersten Spiel‘…“
EN: „Aber dabei ist es ja nicht geblieben…“
LJ: „Nach einer guten halben Stunde gab es die fast exakt gleiche Szene nochmal und du denkst ‚Das kann doch gerade echt nicht sein.‘ Das ist dann schon verrückt. Und dann muss man natürlich auch den Mut haben, in so einem Spiel konsequent zu bleiben und auch hier den Platzverweis auszusprechen. Das war für mich dann auch wichtig. Umso schöner aus Sicht des Schiedsrichters ist es dann natürlich, dass die Szenen auch richtig beurteilt wurden. Das war enorm wichtig und so war es dann am Ende des Tages schon ein sehr erfolgreicher Start in die 3. Liga und in den Profifußball, wenn auch… besonders.“
EN: „Damit kann man aber natürlich auch gleich mal Eindruck schinden, wenn man im ersten Spiel so konsequent auftritt, oder?“
CNP: „Das sehen danach alle, ja. Solche Szenen werden dann auch im Rahmen des Coachings in der 3. Liga diskutiert und auch im Rahmen der Elitekommission werden sicher die Roten Karten am Wochenende besprochen und wenn du dann gleich zwei im ersten Spiel hast und beide richtig sind, dann bist du schon mal bekannt. In diesem Fall dann positiv, was ja immer nochmal besser ist. Das ist einfach stark zu sehen, wenn man so sauber ins Spiel geht, dass man diese Konsequenz auch sofort zeigt. Man darf keine Angst und keinen Zweifel an sich selbst haben und das hat er da geschafft.“
EN: „Es gibt ja immer wieder die wildesten und unschönsten Geschichten aus dem Amateur-Fußball, über die in den Medien berichtet wird. Was ist denn eure negativste Erfahrung? Habt ihr mal irgendwas erlebt, wo ihr sagt, gerne nicht wieder? Oder seid ihr da bis jetzt so relativ gut aus der Geschichte rausgekommen?“
DK: „Insgesamt bin ich ganz gut aus der Sache rausgekommen, muss ich schon sagen. Mir bleibt da nur ein Erlebnis in Erinnerung. Das zweite Landesligaspiel, was ich in Hamburg bestritten habe, zwischen Condor II und Dersimspor musste ich abbrechen, weil mein Assistent mit einer Flasche beworfen wurde. Das Problem dabei war, dass das in der 89. Spielminute war. Das fanden die Mannschaften nicht so witzig und die Presse fand es auch nicht so lustig. Da war ich vielleicht 17 oder 18 Jahre alt und plötzlich auf der Titelseite von irgendeiner Sportzeitung hier in Hamburg. Für mich war es dann auch nicht so angenehm, weil einem dann natürlich viele Leute aus dem Freundeskreis die Artikel dazu schicken und da stehen dann ziemlich unschöne Sachen über einen drin. Damit musste man dann schon erstmal umgehen, auch um den ganzen Sachverhalt zu klären. War das überhaupt richtig, habe ich mich da vernünftig verhalten oder habe ich irgendwas falsch gemacht in der Situation? Da hatte ich am Ende aber auch gute Unterstützung aus dem Verband, Bezirk und seitens des Freundeskreises und von Verwandten. Von daher ist es zum Glück ein einmaliger Sachverhalt gewesen.“
EN: „Und du bist am Ende gestärkt aus der Sache heraus gegangen.“
DK: „Das auf jeden Fall.“
EN: „Um es positiv zu sehen war das vielleicht ja auch gar nicht verkehrt so eine negative Erfahrung gleich am Anfang der Laufbahn zu machen. Was genau wurde denn an der Entscheidung kritisiert? Wenn ein Schiedsrichter-Assistent beworfen wird, ist das doch eigentliche eine logische Entscheidung unabhängig von der Spielminute?“
DK: „Das sagen wir jetzt so… Die Sicht der Presse war dann natürlich, dass man auch einfach die Spielzeit ablaufen lässt und nach 90 Minuten abpfeift. Das kam für mich aber nicht in Frage. In dem Fall ging es für mich einfach darum, meinen Assistenten zu schützen und ihn nicht der Gefahr auszusetzen, dass da sonst noch was passieren könnte. Dementsprechend gab es für mich in dieser Situation nur die Möglichkeit des Spielabbruchs.“
LJ: „Ich habe Glück gehabt. Natürlich gab es mal das ein oder andere Spiel, das vielleicht auch mal ein bisschen intensiver oder emotionaler war, gerade in den niedrigeren Spielklassen, aber grundsätzlich muss ich sagen, bin ich wirklich sehr gut durchgekommen.“
CNP: „Dito. Ich habe da auch nicht viel beizutragen.“
EN: „Die Abschlussfrage kommt wieder aus unserer Fangruppe… hättet ihr mal Lust, zu einem Fan Abend zu kommen? Die treffen sich einmal im Monat und da ist immer jemand vom Verein bei, manchmal Spieler, mal Trainer, mal jemand aus der Vereinsführung. Schiedsrichter wären da nochmal eine ganz neue Perspektive.“
Alle: „Klar, gerne. Das klingt interessant.“
Das war unsere dreiteilige Interview-Serie mit unseren Schiedsrichtern. Ihr könnt diese im Ganzen auch in der Interview-Sektion auf unserer Website noch einmal nachlesen.